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Titel
Special Issue: Scholars, Priests, and Temples. Babylonian and Egyptian Science in Contex


Herausgeber
Ossendrijver, Mathieu
Reihe
Journal of Ancient Near Eastern History (8, Heft 1-2)
Erschienen
Berlin 2021: de Gruyter
Preis
€ 166,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Bojowald, Abteilung für Ägyptologie, Institut für Archäologie und Kulturanthropologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Die hier zu besprechende Publikation enthält die Beiträge zum Workshop „Scholars, Priests, and Temples: Babylonian and Egyptian Science in Context“, der vom 12. bis 14 Mai 2016 an der Humboldt Universität Berlin realisiert wurde. In dem Buch werden ausgewählte Aspekte der ägyptischen und mesopotamischen Wissenschaft analysiert. Die folgende Auswahl geht auf die dem Rezensenten am wichtigsten erscheinenden Beiträge ein:

Philippe Clancier und Damien Agut diskutieren die Schlangenbeschwörung von Ägypten bis Persien. Die Eroberung Unterägyptens im Jahr 671 v.Chr. durch Esarhaddon brachte die Deportation vieler ägyptischer Gelehrter mit sich (S. 23). Dass Serket erst in hellenistischer Zeit zu einer Skorpiongöttin wurde (S. 26), beißt sich mit der Befundlage. Das Phänomen ist schon wesentlich früher zu beobachten. Die Anwesenheit von ägyptischen Schlangenbeschwörern in Assyrien und Persien deutet sich in dokumentarischen Quellen des 7. bzw. 4. Jhdts. vor Christus an (S. 27). Der Beitrag hebt ein wichtiges Detail bei der Bildung von Wissen unter dem Einfluss der politischen Geschichte hervor.

Johannes Hackl und Joachim Oelsner untersuchen die Abkömmlinge der Sin-leqi-unnini in der spätachämenidischen und frühhellenistischen Zeit. Im Fall der Sin-leqi-unnini handelt es sich um eine der prominentesten babylonischen Familien, deren Wirken als Priester, Schreiber und Gelehrte über mehrere Generationen zu verfolgen ist. Die Sin-leqi-unnini nehmen eine wichtige Stellung in der keilschriftlichen Überlieferung aus Uruk und Babylonien ein (S. 41). In den spätachämenidischen Texten aus Uruk lässt sich mit Anu-ana-bitišu der früheste Hinweis auf einen Abkömmling der Familie finden (S. 47). Die Sin-leqi-unnini des späten 4. Jhdts. v.Chr. sind nach den Familienarchiven des hellenistischen Uruk zum gleichen sozio-ökonomischen Milieu zu zählen (S. 48). Das Material wird erschöpfend behandelt.

Andreas Winkler behandelt ägyptische Tempelastrologen. In den demotischen Handbüchern zur „natal astrology“ wird a) die Position der Planeten Saturn, Jupiter, Mars, Venus und Merkur sowie Sonne und Mond zu den Tierkreiszeichen und b) die Unterteilung der 12 Tierkreiszeichen in drei Segmente von 10o beschrieben (S. 94). Die Basishoroskope stellen den häufigsten Typ dieser Textgattung dar (S. 95). Der P. Berlin 13146-7 aus Abusir el-Melek bildet den frühesten Nachweis des Tierkreises in einem ägyptischen Text (S. 99). Die ägyptischen Kenntnisse zur Berechnung von Sonnenfinsternissen verraten mesopotamischen Einfluss (S. 120). Die ägyptischen Fähigkeiten zur Berechnung von Mondfinsternissen lassen sich seit dem 1. Jhdt. v.Chr. nachweisen (S. 120). Die Beteiligung von nubischen Priestern an den Ritualen geht aus Inschriften in Philae und Dakke hervor (S. 121).

Paul-Alain Beaulieu setzt sich mit Berossus und der Schöpfungsgeschichte auseinander. Der Name Berossus gehört einem babylonischen Priester aus dem späten 4./frühen 3. Jahrhundert, der sich u.a. als Autor eines historischen Werks in griechischer Sprache einen Namen gemacht hat. Der Bericht des Berossus von der Schöpfung wurde in der Antike aus der von Alexander Polyhistor verfassten Epitome der Babylonica zitiert (S. 148). Der Bericht vom Urzustand der Welt baut auf Enuma Elisch und dem Vorsokratiker Empedokles auf (S. 154). Der Schöpfungsbericht wird bei Berossos doppelt erzählt (S. 156). Das Motiv von Licht und Dunkelheit hängt vielleicht mit der solaren Rolle des Marduk zusammen (S. 158). Das Motiv von der Enthauptung des Marduk ist vielleicht auf griechischen Einfluss zurückzuführen (S. 161). Die vielschichtigen Prozesse, die zur Entstehung des Abschnitts der Babylonica über die Schöpfung geführt haben, gehen aus dem Beitrag gut hervor.

Markham J. Geller beschäftigt sich mit kanonisiertem Wissen in der Spätantike. Die Gemara wurde vor der gedruckten Fassung ab 1523 n.Chr. nicht standardisiert (S. 175). Die rabbinische Tosephta und beraitot können vielleicht mit den babylonischen aḫu- und nisḫu-Texten verglichen werden (S. 177). Der Beitrag hat mit dem Nachweis des babylonischen Einflusses auf den babylonischen Talmud sein selbst gestecktes Ziel durchaus erreicht.

Brian Paul Muhs betrachtet ägyptische Gelehrte, Priester und Tempel zwischen Selbstständigkeit und staatlicher Kontrolle. Der angebliche Verlust des ägyptischen Staates in der 20. Dynastie an die Seevölker (S. 204) trifft in keiner Weise zu. Die Feinde aus dem Norden konnten vielmehr in einer Seeschlacht militärisch besiegt werden. In der 3. Zwischenzeit wuchs die Rolle der Tempel als Schlichter von privaten Eigentumsdelikten deutlich an (S. 208). Der Gesetzkodex von Hermupolis aus dem 3. Jhdt. v.Chr. kann als frühester Beleg für die Einführung einheitlicher gesetzlicher Standards gelten (S. 210). In der frühen Ptolemäerzeit wurde den Tempeln das Recht zur Erhebung der Erntesteuer entzogen (S. 214).

Mathieu Ossendrijver beschäftigt sich mit Wettervorhersagen in Babylonien. Die Wetterphänomene wurden in Babylonien seit dem 7. Jhdt. v.Chr. in astronomischen Tagebüchern beschrieben (S. 224). Die Einführung des Tierkreises fand im 5. Jhdt. v.Chr. statt (S. 226). In Mul.Apin II i 54-59 und AO 6449 wurde das winterliche Erscheinen des Merkur als Hinweis auf Regen gedeutet (S. 237). Die Abwesenheit von Regen wurde in mehreren Omina auf Enuma Anu Enlil Taf. 64 mit der Position des Jupiters im Sternbild der Fische verbunden (S. 238). Die Entwicklungen in der Vorhersage von Wetterphänomenen in spätbabylonischen Gelehrtentexten werden anschaulich vor Augen geführt.

John Steele widmet sich der Bedeutung von MUL.APIN in der spätbabylonischen Astronomie. Der Einfluss von MUL.APIN in spätbabylonischer Zeit lässt sich an einem Text über die Verbindung von Elam, Akkad und dem Westland mit den vier Jahreszeiten erkennen (S. 270). Das stärkste Indiz für die späte Bedeutung von MUL.APIN liegt in der fortgesetzten Entwicklung der schematischen Astronomie vor (S. 271). Die aktive Tradition der auf MUL.APIN basierten Astronomie bis zum Ende der Keilschriftastronomie wird fundiert begründet.

Caroline Waerzegger unterzieht die Babylonische Chronik einer erneuten Betrachtung. Die Passivität des babylonischen Königs und die Fremdherrschaft über Babylonien stellen Hauptthemen der Chronik dar (S. 285). Der Text weiß vom Bruderkrieg zwischen Babylon und Borsippa zu berichten (S. 286). Das Akitu-Fest kommt in der Chronik gar nicht vor (S. 302). Die Chronik bezieht neben Assyrien und Babylonien auch Elam ein (S. 307). Die Chronik kann wohl in die Perserzeit datiert werden (S. 308). Die Abfassung der „Babylonischen Chronik“ als Reaktion auf die Einverleibung Babyloniens in das Perserreich wird durchaus überzeugend nachgewiesen. Die Aufgabe wurde daher gut gemeistert.

Das abschließende Urteil des Rezensenten fällt positiv aus. Die Beiträge sind informativ und sorgfältig recherchiert. Der Leser bekommt einen guten Überblick über die Details geboten. In mindestens zwei Fällen sind den betreffenden Autoren kleinere Fehler anzukreiden. Der Wert des Buches wird dadurch nicht gemindert. Die Beiträge weisen untereinander keine Berührungspunkte auf. Die Lektüre des Buches kann daher mit voller Überzeugung empfohlen werden.

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